Sich der unangenehmen Wahrheit stellen

Sonntag, 7:19 Uhr, Bahnhof Bad Vöslau. Ich bin zu geizig mir einen Fahrschein für 0,90 € (mit Vorteilscard) nach Baden zu kaufen und entschließe mich vorm Schaffner davonzulaufen. Da an diesem Wochentag zu dieser Tageszeit kaum Leute unterwegs sind, ist der Schaffner schnell durch zwei Wagons durch und schafft es so zehn Sekunden bevor der Zug in Baden hält, mich nach meinem Fahrausweis zu fragen. Ich versuche mich mit der gestern abgelaufen Jugend-Feriennetzkarte rauszureden, doch er weiß, dass ich vor ihm weggelaufen bin (sogar zwei Mal) und ist deshalb wenig einsichtig. So erhalte ich das erste Bußgeld meines Lebens fürs Schwarzfahren. Stolze 76,50 € für eine Vierminutenfahrt über eine Station.

Jetzt werde ich mich sicherlich nicht darüber auslassen, wie überteuert so eine Fahrt ist, wie unfair die ÖBB sind und wie sehr ich den Schaffner hasse. Nein, das würde auch nicht stimmen. Ich bin schuld. Aus irgendwelchen Gründen war es in meinem Hirn so sehr verankert, vorm Schaffner davonzulaufen, als ihm einfach entgegenzugehen und einen Fahrschein zu kaufen. Ich wusste ja schon bei der Mitte der Fahrt, dass ich ihm wahrscheinlich nicht auskommen würde. Dennoch habe ich so gehandelt. Und das liegt vollkommen in meiner Verantwortung.

Bußgeld Schwarzfahren

Wenn ich schon großartig über Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit rede, sollte ich das auch praktizieren. Das Schwarzfahren selbst könnte man schon als Betrug betrachten, aber einen viel verwerflicheren Fehler wäre es, gäbe ich den „blöden“ ÖBB die Schuld. Hier mein eigenes Versagen so klar darzustellen ist Ehrlichkeit für mich. Ehrlichkeit mir selbst gegenüber. Und es ist wirklich unangenehm. Und es ärgert mich. Es ärgert mich diesen Betrag zu zahlen und es ärgert mich, dass ich so gehandelt habe.

Ich muss 76,50 € wegen Schwarzfahrens bezahlen, diese Erfahrung habe ich jetzt gemacht. Wie ich sie nutze hängt von mir selbst ab, denn ich bin kein Opfer der Umstände. Es liegt allein in meiner Verantwortung den Dingen einen Sinn zu geben. Dem Geldbetrag nachzuweinen hilft mir nicht, es frustriert mich nur noch mehr. Mag man das jetzt als Schönrederei betrachten, vielleicht ist es das bis zu einem gewissen Grad auch, denn es hilft mir über dieses Erlebnis hinweg.

Ich erfahre gerade in einer unangenehmen Situation, wie hässlich es ist, sich der Wahrheit zu stellen. Viel leichter wäre es zu bezahlen und zu verdrängen. Dieses genaue Aufschreiben war gerade auch unangenehm, denn immer wieder werde ich mit meinem dummen Verhalten konfrontiert. In Selbstmitleid zu versinken wäre aber auch der falsche Weg. Ich werde dieses Gefühl für mein Projekt nutzen um diesem Erlebnis einen Sinn zu geben. Schließlich habe ich gerade perfekte Voraussetzungen dafür auszuprobieren, wie es sich anfühlt, mit einer unangenehmen Sache ehrlich umzugehen. Möglicherweise gewinne ich dadurch mehr, als ich gerade verloren habe. Sonst aber hoffe ich mit diesen Worte all jenen Mut zu machen, die selbst gerade beim Schwarzfahren erwischt wurden.


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  1. Ich habe deine Zeilen nur überflogen, aber der Satz „Was ich vorher in Filmen für kitschig und banal hielt wurde…

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